- Physiknobelpreis 1986: Ernst Ruska — Gerd Karl Binnig — Heinrich Rohrer
- Physiknobelpreis 1986: Ernst Ruska — Gerd Karl Binnig — Heinrich RohrerDie Physiker erhielten den Nobelpreis für ihre Verdienste zur Entwicklung der Elektronenmikroskopie. Ernst Ruska leistete ein fundamentales Werk in der Elektronenoptik, der Deutsche Binnig und der Schweizer Rohrer konstruierten das Rastertunnelmikroskop.BiografienErnst August Friedrich Ruska, * Heidelberg 25. 12. 1906, ✝ Berlin 27. 5. 1988; 1931 Elektrotechnikdiplom, 1933 Promotion, 1944 Habilitation an der Technischen Hochschule Berlin, 1933-37 Fernseh AG Berlin-Zehlendorf, 1937-54 Siemens und Halske, 1955-59 Fritz-Haber-Institut der Max-Planck-Gesellschaft, Berlin, 1959-74 Technische Universität Berlin.Gerd Karl Binnig, * Frankfurt am Main 20. 7. 1947; Studium der Physik an der Johann Wolfgang Goethe Universität, Frankfurt, 1973 Diplom, 1978 Promotion, seit 1978 am IBM-Forschungslaboratorium in Rüschlikon bei Zürich.Heinrich Rohrer, * Buchs (Kanton Sankt Gallen) 6. 6. 1933; 1955 Physikdiplom an der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich, 1960 Promotion, 1961-63 wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Rutgers University, New Brunswick (USA), seit 1963 am IBM-Forschungslaboratorium in Rüschlikon bei Zürich, unterbrochen durch einjährigen Aufenthalt an der University of California Santa Barbara.Würdigung der preisgekrönten LeistungDas Lichtmikroskop erreicht auch bei fortgesetzter Verbesserung seiner optischen Komponenten eine Grenze der Leistungsfähigkeit, die theoretisch mit der Wellenlänge des sichtbaren Lichts verknüpft ist. Objekte, die wesentlich kleiner sind als die Lichtwellenlänge im sichtbaren Bereich (etwa 500 Nanometer), lassen sich auch bei höchster Vergrößerung nicht mehr wahrnehmen. So können atomare Dimensionen (ungefähr 0,1 Nanometer, ein zehnmilliardstel Meter) auch mit den besten Lichtmikroskopen nicht erfasst werden.Erst das Wissen vom Dualverhalten der Elektronen als Teilchen und Welle, das sich auf die von Louis-Victor de Broglie (Nobelpreis 1929) vorhergesagte Wellennatur der Elektronen stützte, hat die Voraussetzungen für die neue Mikroskopie geschaffen. Mit der Abbildung durch Elektronenlinsen knüpfte Ernst Ruska an die klassische Lichtoptik an. Binnig und Rohrer begingen dagegen einen neuen Weg mit dem berührungsfreien Abtasten von Oberflächen durch eine winzige Sonde und der Messung des dabei entstehenden Elektronenstroms.Fokussierung des Elektronenstrahls durch ElektronenlinsenDie ersten Arbeiten von Ernst Ruska fallen in seine Studienzeit in Berlin, wo er am Hochspannungslaboratorium der Technischen Hochschule vom Assistenten Max Knoll betreut wurde. Sie befassen sich mit der Bündelung von Elektronenstrahlen in der Kathodenstrahlröhre, die zur Sichtbarmachung elektrischer Schwingungen dient. Ziel der Untersuchungen war die Verbesserung des Kathodenstrahl-Oszillographen zur Erfassung der durch Schaltvorgänge und Blitzeinschläge entstehenden schädlichen Überspannungen in elektrischen Hochspannungsleitungen. Die fokussierende Wirkung eines axialen Magnetfelds auf den Elektronenstrahl war vor 1900 bekannt, doch ließ sich die optische Abbildung erst nach Untersuchungen an kurzen Linsenspulen verwirklichen. Daran waren in Berlin Dennis Gabor (Nobelpreis 1971) und, auf der theoretischen Seite, Hans Busch in Jena beteiligt. Busch zeigte 1927, dass der Elektronenstrahl beim axialen Durchtritt durch die kurze Spule dem Gesetz einer Sammellinse der Lichtoptik gehorcht, ein Ergebnis, das aber keine Kenntnis der Wellennatur der Elektronen voraussetzte. Busch hat die Linsenformel nicht experimentell bestätigen können, und erst Ruska ist es 1929 gelungen, ihre Richtigkeit zu beweisen.Das ElektronenmikroskopDie Anwendung der Elektronenlinse zur Abbildung lag auf der Hand, und es ist das Verdienst Ruskas, dass er diese Idee bis zu ihrer Verwirklichung im Mikroskop zielbewusst verfolgt hat. Die erste Beschreibung des Elektronenmikroskops durch Max Knoll und Ernst Ruska im Jahr 1932 enthält die wesentlichen Züge späterer Entwicklungen. Von den anfänglichen Versuchen mit zweistufiger Vergrößerung bis zum ausgereiften Durchstrahlungsmikroskop verging etwa ein Jahrzehnt. Ende 1933, als Ruska bereits eine Vergrößerung von 12 000 : 1 nachweisen konnte, blieb die weitere finanzielle Förderung aus, und er wechselte von der Hochschule zur Fernseh AG bei der Firma Telefunken über. 1937 konnte Ruska die Firma Siemens und Halske in Berlin zur Einrichtung eines Labors bewegen, in dem er 1939 zusammen mit Bodo von Borries das erste serienmäßige Mikroskop mit einer Vergrößerung von 30 000 : 1 gebaut hat. Dennis Gabor trat 1949 wieder in die Entwicklungsgeschichte der Elektronenmikrsokopie ein mit seiner Entdeckung der Holografie zur Verbesserung des Auflösungsvermögens. Die Elektronenmikroskopie hat im letzten halben Jahrhundert viele Neuerungen am Instrument, der Probenherstellung sowie an analytischen Methoden zur Bildauswertung gesehen, und damit ist man schließlich in atomare Bereiche vorgedrungen.Quantenmechanischer TunneleffektDas Rastertunnelmikroskop stützt sich auf eine Eigenschaft, die mit dem Teilchenbild des Elektrons nicht vereinbar ist und erst aufgrund seiner Wellennatur verstanden werden kann. Nach den Gesetzen der klassischen Physik muss ein Teilchen, das gegen einen Potenzialberg anläuft, der höher ist als die Energie des Teilchens, von einer gegebenen Bewegungsenergie, zurückgestoßen werden. Doch besteht als Folge des so genannten Tunneleffekts für das Teilchen eine gewisse Wahrscheinlichkeit, auf die andere Seite des Potenzialbergs zu gelangen. Im Mikroskop von Binnig und Rohrer bestand die vom Elektron zu überwindende Potenzialschwelle aus dem Vakuum zwischen einer spitzenförmigen Sonde und einer elektrisch leitenden Fläche. Da die Zahl der durchgedrungenen Teilchen mit der Entfernung zwischen Sonde und Oberfläche (Breite der Schwelle) stark abnimmt, dient der beobachtete Elektronenstrom als Maß dieser Entfernung und kann daher beim Abtasten der Fläche sein Profil bis in atomare Dimensionen getreu wiedergeben.Trotz der Einfachheit des Prinzips waren bis zur Verwirklichung eines brauchbaren Instruments bedeutende technische Schwierigkeiten zu überwinden. Der Vorschub der Sonde musste um Nanometerbeträge (milliardstel Meter) reproduzierbar und schwingungsfrei in drei Richtungen (x-, y-, z- Achse) möglich sein. Binnig und Rohrer lösten bei der IBM-Zürich das Problem mithilfe eines dreibeinigen piezoelektrischen keramischen Materials, das sich bei Anlegen einer Spannung dehnt oder zusammenzieht. Andere Geometrien für die Abtastvorrichtung entstanden in rascher Folge.Sondenspitzen, die auf ein Ausmaß von wenigen Atomen verfeinert sind, ermöglichen eine Auflösung in der Richtung des Rasters (x-, y- Richtung) von 0,2 Nanometer. Die Herstellung der Sonde hat ihren Ursprung im Feldionenmikroskop, bei dem die zu untersuchende Probe zu einer scharfen Spitze ausgebildet werden muss. Einen Vorläufer des Rastermechanismus findet man beim Feldemissionsinstrument Russell Youngs, dem aber die für das Rastertunnelmikroskop benötigte Starrheit fehlt. Binnig hat ein Nachfolgeinstrument zur Untersuchung nichtleitender Proben entwickelt, das unter der Bezeichnung »atomic force microscope« bekannt ist. Darin wird die Sonde von der Probenoberfläche mithilfe atomarer Kräfte, der so genannten van-der-Waals-Kräfte, angezogen. Verglichen mit dem Elektronenmikroskop ist die Seele des Rastertunnelmikroskops so klein, dass man vom Taschenmikroskop gesprochen hat. In der Weiterentwicklung zeigte sich, dass das Instrument nicht nur im Vakuum, sondern auch in anderen Medien arbeiten kann, darunter Luft und Wasser. Mit dieser einfachen Erschließung der atomaren Anordnung ist die Oberflächenforschung in eine neue fruchtbare Phase getreten.H. Stadelmaier
Universal-Lexikon. 2012.